Der Ortsausschuss für Arbeiterwohlfahrt in Rheine 1923 - 1933

Festvortrag zum 80jährigen Bestehen der Arbeiterwohlfahrt in Rheine am 12.4.2003 von Lothar Kurz

1. Wie alt ist die Arbeiterwohlfahrt in Rheine?
2. Die SPD im Kaiserreich und im Übergang zur Weimarer Republik
3. Die Gründung der Arbeiterwohlfahrt auf Reichsebene
4. Die Gründung der Arbeiterwohlfahrt in Rheine 1923
5. Hermine Walterbach
6. Jeanette Wolff und Marie Juchacz in Rheine
7. Tätigkeitsfelder des Ortsausschusses Rheine der Arbeiterwohlfahrt
8. Das Ende der Arbeiterwohlfahrt 1933
9. Nach 1945: Neugründung unter veränderten Vorzeichen


Verehrte Anwesende!

1. Wie alt ist die Arbeiterwohlfahrt in Rheine?

Vor etwa sieben Jahren, am 11. Mai 1996 feierte der Ortsverein Rheine der Arbeiterwohlfahrt im Stadtparkrestaurant sein 50jähriges Bestehen und gab aus diesem Anlass auch eine Festschrift heraus, die unter der Federführung von Rudi Marciniak entstanden war.

Heute nun feiern wir das 80jährige Bestehen der Arbeiterwohlfahrt in Rheine. Wer auch nur ansatzweise mathematisch begabt ist, muss nun stutzig werden. Welches der beiden Jubiläen entspricht denn nun der historischen Wahrheit?

Als vor sieben Jahren das 50jährige Bestehen gefeiert werden sollte, hatte ich schon im Rahmen meiner Quellenaufarbeitung zur Geschichte der Sozialdemokratie in Rheine, die dann 1998 zur Veröffentlichung einer Publikation zur hundertjährigen Geschichte der SPD führte, herausgefunden, dass die Arbeiterwohlfahrt bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in Rheine existiert hatte, was bis dahin weder der beteiligten Organisation, noch der Stadtgeschichtsschreibung bekannt war. Damals habe ich meinen Kenntnisstand an mir bekannte SPD-Mitglieder weitergegeben, konnte dadurch den Ablauf der Jubiläumsfeierlichkeiten aber nicht verhindern oder beeinflussen - und das war wahrscheinlich auch gut so.

Ich werde später genauer darlegen, welche Quellen nach meiner Auffassung eindeutig dafür sprechen, dass die Arbeiterwohlfahrt in Rheine bereits 1923 gegründet wurde. Der jetzige Vorstand des Ortsvereins hat sich meiner Auffassung angeschlossen - und deshalb sind wir heute wieder zusammen gekommen, um ein Jubiläum zu feiern.

2. Die SPD im Kaiserreich und im Übergang zur Weimarer Republik

Doch zunächst ein Blick zurück in die Geschichte nicht nur auf das Jahr 1923, sondern auch auf die davor liegenden Jahrzehnte.

Die deutsche Sozialdemokratie - und von ihr wird nachfolgend immer wieder die Rede sein - hatte sich in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eine Partei gegründet, die sich in grundsätzlicher Opposition zum bestehenden politischen und sozialen System befand. Die offizielle Programmatik der Partei zielte darauf, die Existenz sozialer Klassen und die Herrschaft einzelner Klassen über andere abzuschaffen.

Diese Auffassung basierte auf der Vorstellung, dass das im Zuge der Industriellen Revolution entstandene industrielle Unternehmertum - private Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel vorausgesetzt - die Lohnarbeiterschaft, das Proletariat, notwendigerweise ausbeute und auf einem Lohnniveau belasse, das das physische Existenzminimum allenfalls geringfügig überschreite.

Alle Überlegungen, die Not der Arbeiter zu beseitigen, konnten demnach nur darauf hinaus laufen, das bestehende soziale System - gegründet auf das Privateigentum an Produktionsmitteln - grundsätzlich auf revolutionärem Wege abzuschaffen.

Eine solche Grundauffassung musste es konsequenterweise ablehnen, eine Verbesserung der Lage der Arbeiter durch einzelne Maßnahmen, die das Gesamtsystem nicht in Frage stellten, anzustreben. Anders formuliert: weder sozialpolitische Gesetze noch eventuelle Selbsthilfemaßnahmen der Arbeiterschaft selbst konnten als geeignet erscheinen, die Notlage der Arbeiter wirkungsvoll zu beseitigen.

Diese Auffassung wird sich vielfach auch durch die spezielle Ausprägung der bis 1918 im kaiserlichen Deutschland praktizierten Form der Armenfürsorge bestätigt gesehen haben.

Nach vorherrschender Auffassung war Armut nicht das Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen, sondern in der Regel von den Notleidenden - durch Faulheit, Alkoholismus oder asoziales Verhalten - selbst verschuldet. Dem entsprechend waren die von den Gemeinden zu leistenden Unterstützungen an Bedingungen gebunden, die von den Betroffenen selbst als unwürdig empfunden werden mussten:

- Es gab kein einklagbares Recht auf öffentliche Unterstützung.

- Leistungen waren daran gebunden, dass der Unterstützte sich mindestens ein Jahr in der Unterstützungsgemeinde aufhielt; war dies nicht der Fall, erfolgte häufig eine Abschiebung an den Herkunftsort.

- Jede aus öffentlichen Mitteln geleistete Unterstützung musste zurück gezahlt werden, sobald der Empfänger hierzu in der Lage war.

- Wer Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln bezog oder im letzten Jahr vor der Wahl bezogen hatte, durfte an öffentlichen Wahlen nicht teilnehmen.

Der offiziellen Parteiprogrammatik hinsichtlich sozialpolitischer Aktivitäten widersprach schon in der Kaiserzeit das faktische Verhalten vieler Parteimitglieder: Mit dem Einzug von Sozialdemokraten in immer mehr kommunale Parlamente und der täglichen Auseinandersetzung mit der Not vor Ort wandelte sich allmählich die Auffassung zur Wohlfahrtspflege. Von besonderer Bedeutung war hierbei die Tätigkeit von Sozialdemokraten in den Kinderschutzkommissionen, die nach 1903 auf Grund des Gesetzes zum Schutz von Kindern in gewerblichen Betrieben eingerichtet wurden.

Der Erste Weltkrieg produzierte neue Notlagen. Die Umstellung von der Friedens- auf die Kriegsproduktion sowie die Einziehung vieler Männer zum Militärdienst beraubte viele Familien ihrer wirtschaftlichen Grundlage. Der SPD-Parteivorstand rief die sozialdemokratischen Frauen zur Mitarbeit in der Kriegswohlfahrtspflege auf - auch in Zusammenarbeit mit den kirchlichen und bürgerlichen Organisationen, die in diesem Bereich tätig waren und deren Arbeit von Seiten der Sozialdemokratie bisher als ein bloßes Almosengeben kritisiert worden war.

In der Schlussphase des Weltkrieges zerbrach dann die Sozialdemokratie als einheitliche politische Organisation der deutschen Arbeiterbewegung: Im April 1917 spaltete sich die USPD - Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands - von der Parteimehrheit ab. Schon 1916 hatte sich innerhalb der SPD der Spartakusbund konstituiert; zusammen mit einer Reihe weiterer oppositioneller Gruppen bildete er sich um die Jahreswende 1918/19 zur KPD - Kommunistischen Partei Deutschlands - um.

Das bedeutete, dass die verbleibende SPD, die sich jetzt häufig auch MSPD - Mehrheitssozialdemokratie - nannte, den eher politisch gemäßigten Teil der Mitgliedschaft repräsentierte, während die meisten der in der Tradition marxistischen Denkens stehenden Sozialdemokraten die Partei verlassen hatten.

Dies bedeutete nun auch, dass hinsichtlich der Wohlfahrtspflege der traditionelle Standpunkt, nur eine grundsätzliche Umwälzung der bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse könne die Lage der Arbeiterschaft wirklich dauerhaft verbessern, in der MSPD keine Mehrheit mehr hatte.

Trotzdem wurde die Frage, ob eine eigene sozialdemokratische Wohlfahrtsorganisation dem Selbstverständnis der Partei entspreche, innerhalb der Mitgliedschaft heftig diskutiert, dies im Wesentlichen unter den folgenden beiden Gesichtspunkten:

Erstens: Das Ende des Weltkrieges bedeutete in Deutschland auch die Abschaffung der Monarchie und der Übergang zur parlamentarischen Demokratie, in der alle Männer und Frauen bei öffentlichen Wahlen gleiches Stimmrecht hatten. Damit waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Sozialdemokraten durch Parlamentsarbeit auf vielen Ebenen politische Entscheidungen maßgeblich beeinflussen konnten. Diskutiert wurde nun innerhalb der Mehrheitssozialdemokratie mit Leidenschaft folgende Frage: War es die Pflicht von Reich, Ländern und Gemeinden, die öffentliche Wohlfahrtspflege in ausreichendem Maße zu betreiben, oder bedurfte es künftig auch der Selbsthilfe der Arbeiterschaft?

Schließlich hatte die SPD in ihrem Erfurter Programm von 1891 die Forderung nach "stufenweise steigenden Einkommen- und Vermögenssteuern zur Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben" gefordert. War es dann nicht konsequent, dem Staat und den öffentlichen Händen alle sozialpolitischen Aufgaben und Ausgaben abzuverlangen?

Zweitens: Im Kaiserreich hatten nur Männer das Recht, an öffentlichen Wahlen teilzunehmen. Den Frauen war es bis 1908 sogar verboten, überhaupt die Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen zu erwerben. Entsprechend war die Frauenpolitik der SPD in der Zeit des Kaiserreiches in erster Linie darauf gerichtet, Frauen und Männern gleiche politische Rechte zu erkämpfen. Im Erfurter Programm von 1891 lautete die entsprechende Forderung: "Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich- und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen."

Nun hatte sich aber bei der tatsächlichen Entwicklung von Wohlfahrtstätigkeiten im sozialdemokratischen Bereich gezeigt, dass auf diesem Gebiete überwiegend Frauen tätig waren. Die Kritiker der Bildung einer eigenen sozialdemokratischen Wohlfahrtsorganisation sahen die Gefahr, dass eine solche Organisation die traditionelle Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern festschreiben werde: die Frauen würden in den Bereich praktischer Sozialtätigkeit abgedrängt, während die Männer nach wie vor den eigentlich politischen Bereich beherrschten.

3. Die Gründung der Arbeiterwohlfahrt auf Reichsebene

Um das Ergebnis dieser Diskussionen vorweg zu nehmen: Am 13. Dezember 1919 beschloss der Reichsausschuss der SPD in Berlin, eine eigene sozialdemokratische Wohlfahrtsorganisation ins Lebens zu rufen, die Arbeiterwohlfahrt. Hauptinitiatorin und erste Vorsitzende war Marie Juchacz, die seit 1917 dem SPD-Vorstand als Frauensekretärin angehörte.

Die Befürworter der Gründung der Arbeiterwohlfahrt hatten sich vor allem mit folgenden Argumenten durchgesetzt:

- Während des Krieges seien viele Frauen zur SPD gekommen, die praktische Hilfe leisten wollten, weniger "agitieren"; diesen müsse man auch künftig ein Betätigungsfeld innerhalb der Sozialdemokratie geben;

- Es müsse ein Gegengewicht zu den kirchlichen und bürgerlichen Wohltätigkeitsorganisationen geschaffen werden, denen in der Nachkriegszeit auch die örtliche Verteilung der aus dem Ausland eintreffenden Hilfsgüter zufiel.

- Als eigenständige Organisation könne man - wie die kirchlichen und bürgerlichen Vereinigungen - öffentliche Mittel für die eigene Tätigkeit beanspruchen.

- Schließlich hätte eine eigenständige Organisation auch die Möglichkeit, selbst hauptberufliche Kräfte im Bereich der Wohlfahrtspflege einzustellen.

Die Arbeiterwohlfahrt hatte in dieser Zeit keine organisatorisch selbstständige Stellung, sondern war eine Art Arbeitsgemeinschaft innerhalb der SPD. In den Richtlinien des Bezirksausschusses für den Bezirk Westliches Westfalen, zu dem auch Rheine zählte, heißt es hinsichtlich der Mitgliedschaft in den Ortsausschüssen: "In den Ortsausschüssen werden alle in der Wohlfahrtspflege tätigen Mitglieder der SPD zusammengefasst. Hierzu gehören besonders alle kommunalpolitisch tätigen Mitglieder der SPD."

Entsprechend gestaltete sich der organisatorische Aufbau der Arbeiterwohlfahrt: Unterhalb des Hauptausschusses auf Reichsebene gab es Bezirke, die mit den Parteibezirken deckungsgleich waren, und Ortsausschüsse in Anlehnung an die Ortsvereine der SPD.

4. Die Gründung der Arbeiterwohlfahrt in Rheine 1923

Dass sich die Gründung eines Ortsausschusses der Arbeiterwohlfahrt in Rheine im April 1923 vollzog, erklärt sich vielleicht aus der damaligen besonderen Situation:

Die sozialen Probleme, die der Erste Weltkrieg mit sich gebracht hatte, verschärften sich einerseits reichsweit durch die zunehmende Inflation, andererseits führte die Besetzung des Ruhrgebietes, die Frankreich und Belgien am 11.1.1923 durchführten, gerade im westdeutschen Raum zu zusätzlichen Schwierigkeiten: Wurde dem Aufruf der Reichsregierung, gegen die Besetzung passiven Widerstand zu leisten - das heißt für die Arbeiter, in einem unbefristeten Streik zu treten - Folge geleistet, so bedeutete dies angesichts der unzureichenden staatlichen Ausgleichzahlungen für viele Familien eine deutliche Verschlechterung ihrer Einkommenssituation.

Unsere Kenntnis über das genaue Gründungsdatum stützt sich auf einen Aufruf, der am 13. April 1923 in der in Münster herausgegebenen sozialdemokratischen Tageszeitung "Der Volkswille" erschien; hier hieß es: "Über Frauenfragen und Arbeiterwohlfahrtspflege spricht Parteisekretär Genosse Pohlmeyer am nächsten Montag, abends 7 ½ Uhr, in einer Versammlung im Gewerkschaftshause, zu der vor allem alle Rheiner Arbeiterfrauen und Gönner unserer Sache und der Arbeiterwohlfahrtspflege freundlichst eingeladen werden."

Obwohl über diese Versammlung kein Bericht im "Volkswille" veröffentlicht wurde, können wir doch mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass hierbei die Gründung des Ortsausschusses der Arbeiterwohlfahrt in Rheine vollzogen wurde.

Dafür gibt es die folgenden Indizien: Einerseits wurde im "Volkswille" in den nächsten Monaten immer wieder über die Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt berichtet, wobei die Bezeichnung der Organisation nicht einheitlich war: Manchmal hieß es "Arbeiterwohlfahrt", manchmal "Frauenversammlung", manchmal: "unsere SPD-Frauen".

Ich habe vorhin das organisatorische Verhältnis der Arbeiterwohlfahrt zur SPD in dieser Zeit und zugleich auch die Bedeutung der Arbeiterwohlfahrt für die Frauenpolitik der SPD dargestellt; diese Zusammenhänge lassen es als schlüssig erscheinen, dass mit den verschiedenen Bezeichnungen faktisch immer der gleiche Personenkreis, d.h. die Mitglieder des Ortsausschusses für Arbeiterwohlfahrt gemeint sind.

Andererseits ergriff die SPD in Rheine im Frühjahr 1923 kommunalpolitische Initiativen, die sehr wohl vermuten lassen, dass sie auf die Gründung eines Ortsausschusses für Arbeiterwohl zurückgehen: Am 16. Juni stellte die SPD-Ortsgruppe Rheine den Antrag auf Erweiterung der städtischen Armenkommission um ein weibliches Mitglied. In der Begründung hierzu hieß es:

"Die städtische Armenkommission ist von der unterzeichneten Organisation durch keine weibliche Person vertreten. Es ist aber allseitig bekannt, daß gerade die Frau am besten sich in die Notlage der einzelnen notdürftigen Familien hinein denken kann. Weil dem so ist, möchten wir gern, daß die von uns vertretene Arbeiterschaft durch ein weibliches Mitglied von uns in der Armenkommission vertreten wäre."

Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass in der städtischen Akte, die diesen Antrag enthält, unmittelbar danach zwei Drucke der Satzung des "Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt" eingebunden sind. Es ist zu vermuten, dass diese Drucke vom Antragsteller eingereicht wurden, was einen Zusammenhang zur Tätigkeit des gerade gegründeten Ortsausschusses für Arbeiterwohlfahrt nach meiner Auffassung schlüssig belegt.

Die Stadtverordnetenversammlung stimmte dem Antrag am 22. Juni nur mit einer Modifikation zu: "Als weiteres Mitglied der Armenkommission wurde Frau Theodora Simon gewählt, jedoch nur für den Fall, daß das Mitglied Woltering freiwillig aus der Kommission ausscheidet."

Dass hier Dora Simon sozusagen als Vertreterin der Arbeiterwohlfahrt in Erscheinung tritt, deutet darauf hin, dass die spätere langjährige Vorsitzende Hermine Walterbach zu diesem Zeitpunkt noch nicht führend im Ortsausschuss für Arbeiterwohlfahrt tätig war.

5. Hermine Walterbach

An dieser Stelle soll etwas ausführlicher auf das Leben und die Tätigkeit dieser Frau eingegangen werden, die danach bis zum Ende der Weimarer Republik die Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt in Rheine maßgeblich prägte.

Hermine Walterbach wurde 1882 in Malgarten bei Bramsche als Hermine Stockentree geboren, kam kurz nach der Jahrhundertwende nach Rheine und heiratete 1903 den Weber Heinrich Walterbach.

Politisch trat Hermine Walterbach erst in den Jahren der Weimarer Republik in Erscheinung.

Im "Volkswille" wurde sie zum ersten Male erwähnt, als sie am 10.2.1924 auf der SPD-Jahreshauptversammlung von einer Frauentagung in Hamm berichtete.

Als Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Rheine wurde sie zum ersten Mal am 18. August 1926, zum letzten Mal am 28.8.1931 im "Volkswille" erwähnt; bei den späteren Aktivitäten der Arbeiterwohlfahrt wird jedoch keine andere Person genannt, so dass vermutet werden kann, dass Hermine Walterbach diese Aufgabe bis 1933 wahrgenommen hat.

Im Februar 1929 wurde Hermine Walterbach auf dem SPD-Parteitag für den Unterbezirk Münsterland in den Unterbezirksausschuss für Arbeiterwohlfahrt gewählt.

Bei der Kommunalwahl am 4. Mai 1924 kandidierte sie für die SPD als erste Frau auf dem 7. Listenplatz. Von den insgesamt 21 Kandidaten waren drei Frauen. Die SPD erhielt nur drei Mandate, so dass Frau Walterbach nicht in die Stadtverordnetenversammlung einzog. Ähnlich war die Situation bei den darauf folgenden Kommunalwahlen 1927 und 1929, wo Hermine Walterbach jeweils wieder als erste Frau kandidierte, aber nicht gewählt wurde.

Wohl schon 1923 war Hermine Walterbach für den ausscheidenden Rudolf Matthes in die städtische Armen- und Waisenkommission nachgerückt. Sie blieb in der nächsten Legislaturperiode als Vertreterin der SPD in dieser Kommission. Das Gremium wurde nach der Kommunalwahl 1927 umbenannt in "Wohlfahrtskommission"; in ihr war Hermine Walterbach auch in den nächsten beiden Wahlperioden, d.h. bis zum Ende der Weimarer Republik, für die SPD tätig.

6. Jeanette Wolff und Marie Juchacz in Rheine

Zurück zu den Anfängen der Arbeiterwohlfahrt in Rheine: Schon kurz nach der Gründungsversammlung am 16.4.1923 war mit Jeanette Wolff auch eine der überörtlich bekannteren Funktionärinnen der Sozialdemokratie und der Arbeiterwohlfahrt in Rheine zu Gast.

Jeanette Wolff wurde 1888 in Bocholt geboren: nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie in den Vorstand des SPD-Bezirks Westliches Westfalen gewählt. Seit 1919 gehörte sie der Stadtverordnetenversammlung von Bocholt als erste und viele Jahre einzige Frau an. Hier war sie auch an der Gründung des Ortsausschusses der Arbeiterwohlfahrt beteiligt.

Jeanette Wolff kam am 6.5.1923 zu einer Versammlung in das Volkshaus an der Rosenstraße, um über "Frauen- und Arbeiterwohlfahrtsfragen" zu referieren. Berichte über den Verlauf der Veranstaltung liegen nicht vor.

Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass Marie Juchacz, die Gründerin und erste Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt auf Reichsebene, am 4. April 1924 im Saal Elpers vor etwa 600 Personen auftrat. Dabei handelte es sich nicht um eine Versammlung, die sich speziell auf die Aufgaben der Arbeiterwohlfahrt bezog, sondern - wie schon der Titel "Die bevorstehenden Wahlen" deutlich macht, um eine Veranstaltung der SPD im Hinblick auf die am 4.5.1924 bevorstehende Reichstags- und Kommunalwahl. Gleichwohl erscheint bemerkenswert, dass die Rednerin als Reichstagsabgeordnete, als Mitglied des SPD-Parteivorstandes, aber auch als Vorsitzende des Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt angekündigt wurde.

Der "Volkswille" ging in seiner Berichterstattung ausführlich auf die "Moskauer Krakeeler" - d.h. die Vertreter der KPD - und ihre Versuche ein, die Versammlung in ihrem Sinne umzufunktionieren. In einem eindreiviertelstündigen Referat setzte Marie Juchacz sich zunächst hauptsächlich mit der Politik der Rechtsparteien und der Kommunisten auseinander. Die anschließende Diskussion, die um etwa 21.15 Uhr begann und bis Mitternacht andauerte, entwickelte sich zwischen den anwesenden Kommunisten und den Sozialdemokraten so heftig, dass Marie Juchacz schließlich gar nicht mehr dazu kam, ein Schlusswort zu halten, als der Wirt wegen der Polizeistunde die Versammlung beenden musste.

7. Tätigkeitsfelder des Ortsausschusses Rheine der Arbeiterwohlfahrt

Wo lagen in Rheine die Schwerpunkte der Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt? Einerseits wurde die traditionelle Frauenpolitik der Sozialdemokratie in der Weise fortgesetzt, dass Frauen im politischen Sinne aktiviert werden sollten. Wen wundert es, dass entsprechende Veranstaltungen meist in Zeiten des Wahlkampfes durchgeführt wurden, so etwa vor der Reichstagswahl am 14.9.1930 und vor der Reichstagswahl am 5.3.1933. In beiden Fällen traten Arbeiterwohlfahrt und SPD gemeinsam als Veranstalter auf.

Die Frauenversammlung am 22. Februar 1933 ist die letzte nachweisbare Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt in Rheine vor der nationalsozialistischen Machtergreifung überhaupt. Der "Volkswille" berichtete über den Auftritt des SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Mathias Thesing bei dieser Veranstaltung folgendermaßen: "Zusammenfassend wies Genosse Thesing noch auf die Bedeutung des 5. März hin. Es gehe um Sein oder Nichtsein der Arbeiterbewegung. Auch die Frauen müssten die Männer in ihrem Freiheitskampf unterstützen. An dem Geist der Millionenarmee der Arbeiterschaft und an ihrer Gesetzmäßigkeit werde die Reaktion zerschellen."

Soweit die große Politik. Insgesamt bedeutsamer war wohl die kommunalpolitische Arbeit vor Ort. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass Hermine Walterbach von 1923 bis 1933 als Vertreterin der SPD und damit der Arbeiterwohlfahrt zuerst Mitglied der Armen- und Waisenkommission, danach der Wohlfahrtskommission war. Daneben waren zeitweise als Vertreterinnen der SPD Frau Feld, Theodora Simon und Helene Thesing in verschiedenen städtischen Kommissionen tätig. Helene Thesing tritt uns auch mehrfach in anderen Quellen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt entgegen; es ist zu vermuten, dass sie stellvertretende Vorsitzende des Ortsausschusses für Arbeiterwohlfahrt war.

Über die Hilfe, die der Ortsausschuss für Arbeiterwohlfahrt, in konkreten Einzelfällen bedürftigen Personen und Familien leistete, geben ein Antrag, mit dem am 14. Juni 1928 ein städtischer Zuschuss beantragt wurde, und der Verwendungsnachweis für die bewilligten 500 Mark anschauliche Informationen: Hieraus geht hervor, dass die Wöchnerinnenpflege einen großen Teil der Arbeitskraft und der finanziellen Aufwendungen beanspruchte; dabei wurde Hilfe im Haushalt geleistet, außerdem für Mutter und Kind besondere Stärkungsmittel gekauft.

Notleidenden Familien wurde insbesondere durch die Zuteilung von Lebensmitteln und Textilien geholfen: hierbei halfen gelegentlich örtliche Einzelhandelsunternehmen durch die kostenlose oder besonders preiswerte Abgabe von Kleidungsstücken. Daneben kamen die Kleidungsstücke zur Verteilung, die in der Nähstube der Arbeiterwohlfahrt angefertigt worden waren.

Ähnlich wie viele andere Ortsausschüsse organisierte die Arbeiterwohlfahrt in Rheine in den Sommerferien Ausflüge für die Schulkinder. Erstmals sind solche Ausflüge im Sommer 1924 nachweisbar, zuletzt im Sommer 1932.

Die Ausflüge begannen stets am Heilig-Geist-Platz; Ziele waren der Frieden, St. Arnold, die Dritte Schleuse oder der Kanalhafen; im Jahre 1930 wurde auf der Ems eine Fahrt zur Gaststätte Höwiesche organisiert. Weil das verwendete Boot nicht alle Kinder und Begleiter aufnehmen konnte, musste eine Pünte angehängt werden.

Im Sommer 1928 wurden von den 500 Mark, die die Arbeiterwohlfahrt aus städtischen Mitteln erhielt, 170 Mark für Erfrischungen während dieser Ferienausflüge - für Kuchen, Milch, Limonade und Kakao - ausgegeben.

Im nächsten Jahr beklagte der Volkswille, dass die städtische Wohlfahrtskommission nicht mehr bereit sei, einem Antrag der Arbeiterwohlfahrt zuzustimmen, für Erfrischungen während der Ferienausflüge 200 Mark zur Verfügung zu stellen.

Ähnlich wie in vielen anderen Ortsausschüssen richtete die Arbeiterwohlfahrt Nähkurse und eine Nähstube ein. Hierzu wurde in die Privatwohnung von Helene Thesing, der Frau des damaligen SPD-Vorsitzenden Mathias Thesing, eingeladen. Diese Veranstaltungen dienten nicht nur der Qualifikation der Teilnehmerinnen; zugleich wurden Kleidungsstücke für den Eigenbedarf oder auch für die Verteilung an bedürftige Familien hergestellt.

Aber die Mitglieder der Arbeiterwohlfahrt arbeiteten nicht nur zusammen, sie veranstalteten auch viele gemeinsame Feiern. Über einen Frauennachmittag im Februar 1927 berichtete der "Volkswille": "Der vom Ortsausschuß für Arbeiterwohlfahrt am Sonntag Nachmittag veranstaltete Unterhaltungsnachmittag für Frauen und Mädchen erfreute sich eines guten Besuches. Die Arbeiterjugend hatte durch ihre Musikgruppe für die nötige Unterhaltung gesorgt und wurde ihnen für ihre Leistungen volle Anerkennung gezollt. Kaffee und Kuchen aus dem Osnabrücker Konsum schmeckten vorzüglich. Genossin Walterbach, Vorsitzende des Ortsausschusses, begrüßte die erschienenen Frauen herzlichst und gab der Fürsorgeschwester, Genossin Schaub (Lütgendortmund), das Wort zu einem Vortrage über die "Bedeutung der Arbeiterwohlfahrt für die Arbeiterklasse". ... Reicher Beifall bewies, dass die Ausführungen auf fruchtbaren Boden gefallen waren. In die auf den Tischen ausliegenden Einzeichnungslisten trugen 40 Frauen und Mädchen ihre Personalien ein, um dadurch ihren Eintritt in den Ortsausschuß zu bekunden. Die Veranstaltung hatte also ihren Zweck nicht verfehlt."

Was uns hier entgegentritt, ist auch für weitere Veranstaltungen dieser Art typisch: Die Verbindung von Geselligkeit, Fortbildungs- und Werbetätigkeit, die Einbindung weiterer Organisationen aus dem sozialdemokratischen Umfeld und schließlich die Tatsache, dass es sich um eine reine Frauenveranstaltung handelte.

Ein Tätigkeitsfeld, das für die Ortsausschüsse der Arbeiterwohlfahrt in anderen Städten eine große Rolle spielte, lässt sich in Rheine nicht nachweisen: es gab in Rheine keine Volksküchen, mit denen gerade in den ersten Nachkriegsjahren die Ärmsten der Armen verpflegt werden sollten. Ich kann nicht beurteilen, ob hierfür in Rheine kein Bedarf bestand, oder ob einfach die Kraft der Organisation nicht ausreichte, neben den vielen anderen Aufgaben auch dieses noch zu leisten.

Soweit zur Tätigkeit des Ortsausschusses für Arbeiterwohlfahrt in Rheine in der Zeit von 1923 bis 1933. Im Vergleich zur heutigen Arbeit gibt es etliche Gemeinsamkeiten und Parallelen, aber auch - wie schon angedeutet - markante Unterschiede:

Erstens war die Arbeiterwohlfahrt vor 1933 eine Art Arbeitsgemeinschaft der SPD, während sie heute parteiunabhängig ist.

Zweitens waren in der Arbeiterwohlfahrt vor 1933 - zumindest in Rheine - nur Frauen aktiv, während heute Frauen und Männer gleichberechtigt in ihr zusammen arbeiten.

8. Das Ende der Arbeiterwohlfahrt 1933

Im Zuge der Machtergreifung durch die NSDAP fand auch die selbstständige Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt ihr Ende. Die Geschäftsstelle des Berliner Hauptausschusses wurde am 12. Mai 1933 von einem Beauftragten der Deutschen Arbeitsfront übernommen, der die organisatorische und inhaltliche Gleichschaltung des Verbandes vornahm. Am 15. Juli 1933 erschien die letzte Ausgabe des Verbandsorgans mit einem Aufruf, der die Unterordnung der Arbeiterwohlfahrt unter die Ziele der NSDAP nur zu deutlich machte. Hier hieß es: "Der nationale Staat erfordert nicht nur die Erfüllung staatsbürgerlicher Verpflichtungen, sondern er fordert von jedem einzelnen das Mitfühlen an dem inneren Erleben der Nation, die der Inbegriff aller Lebensäußerungen ist. Unsere Arbeit wird darum nur Deutschland und immer nur Deutschland gelten. Für Standes- und Klassenscheidungen gibt es bei uns keinen Raum mehr."

Wie sich die Gleichschaltung der Arbeiterwohlfahrt 1933 in Rheine abspielte, dafür gibt es nach meinem Kenntnisstand keine genaueren Informationen.

9. Nach 1945: Neugründung unter veränderten Vorzeichen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Nazi-Herrschaft konnte die Arbeiterwohlfahrt neu entstehen. Bereits am 17. Juni 1945 trafen sich auf der Ebene des Bezirks Westliches Westfalen Helferinnen und Helfer zur Neugründung des Verbandes.

Wenn die Arbeiterwohlfahrt auch personell und inhaltlich nach wie vor vielfach mit der Sozialdemokratie verbunden war, so stellte sich der Charakter der Organisation jetzt doch anders dar: Die Arbeiterwohlfahrt konstituierte sich nicht mehr als Arbeitsgemeinschaft innerhalb der SPD, sondern als selbstständiger eingetragener Verein.

Auch in inhaltlicher Hinsicht erfolgte eine gewisse Distanzierung von der SPD, was aber zugleich auch als Versuch interpretiert werden kann, sich weiteren Bevölkerungskreisen zu öffnen. In den ersten in der Nachkriegszeit angenommenen "Richtlinien" hieß es:

"Die Arbeiterwohlfahrt beruht auf den humanitären und ethischen Grundlagen des freiheitlichen und demokratischen Sozialismus. Sie ist politisch unabhängig. Ihre Arbeit wird getragen von dem Gedanken der Toleranz und dient den rat- und hilfesuchenden Angehörigen aller Bevölkerungsschichten ohne Rücksicht auf deren politische, rassische oder konfessionelle Zugehörigkeit."

Und hinsichtlich der Aufgaben der Organisation wurde erst als neunter und letzter Punkt genannt: "Pflege eines freundschaftlichen Verhältnisses zu den Organisationen der deutschen Arbeiterbewegung und ihren parlamentarischen Vertretungen."

Wie sich die Neugründung der Arbeiterwohlfahrt 1945/46 in Rheine abspielte und der Ortsverein sich in den nächsten Jahren entwickelte, das ist vor sieben Jahren, als das 50jährige Bestehen gefeiert wurde, bereits ausführlich schriftlich und mündlich dargestellt worden.

Deshalb will ich an dieser Stelle enden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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