Vor 100 Jahren wurde in Rheine die erste Gewerkschaft der Metallarbeiter gegründet

Am 3. Mai 1906 übersandte Bürgermeister Schüttemeyer dem königlichen Landrat in Burgsteinfurt ein Verzeichnis der Mitglieder und einen Druck der Statuten der gerade gegründeten Ortsgruppe des Zentralverbandes christlicher Metallarbeiter. Dies ist der erste quellenmäßige Beleg für die Existenz einer Metallarbeitergewerkschaft in Rheine.

Fast alle Mitglieder wohnten links der Ems

Die Vorstandsmitglieder bei der Gründung im Jahre 1906

Das Mitgliederverzeichnis umfasste 33 Personen, sämtlich Männer, deren Berufe sich folgendermaßen aufgliederten: 18 von ihnen waren Schlosser, acht Dreher und je einer Klempner und Fräser. Nur fünf Mitglieder - vier Arbeiter und ein Heizer - waren ungelernte Kräfte.

Von den Mitgliedern wohnten 31 im Stadtgebiet links der Ems, eins im Stadtgebiet rechts der Ems (Lingener Straße) und eins in der Feldmark Dutum.


Diese räumliche Verteilung kann nicht verwundern, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es in Rheine zu dieser Zeit nur zwei Maschinenfabriken gab - Tacke (seit 1886 in der Bannewiese) und Windhoff (seit 1892 an der Hovestraße) - bei denen die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder wohl beschäftigt war.

Heinrich Eggern (Kampstraße 6) fungierte als 1. Vorsitzender, Bernhard Veltel (Breite Straße 22) als 2. Vorsitzender (Foto rechts), Josef Kruse (Salzstraße 24) als Schriftführer und August Pohlmann (Münstermauer 8) als Kassierer.

 

 

 

Bernhard Veltel arbeitete als Schlosser bei der Fa. Windhoff.


Besonderheiten der christlichen Gewerkschaften

Das Statut gab die vollständige Bezeichnung der Organisation mit "Christlich sozialer Metallarbeiter-Verband Deutschlands" an, dessen Sitz sich in Duisburg befand. Dies machte zweierlei deutlich: Einerseits sollten Arbeiter eines ganzen Wirtschaftszweiges zusammengefasst werden; dabei sollten nicht nur die Metall- und Hüttenindustrie, sondern auch die chemische Industrie erfasst werden, für die es zu dieser Zeit noch keine eigene Gewerkschaftsorganisation gab. Auf Grund dieser Organisationsbreite unterschied sich der Verband von den etwa in Großbritannien bis heute überwiegend vertretenen Berufsverbänden.

Andererseits wurde deutlich, dass die deutsche Gewerkschaftsbewegung - wie während der gesamten Zeit des Kaiserreiches und der Weimarer Republik - in konkurrierende Richtungsgewerkschaften aufgesplittert war. Die christlichen Zentralverbände standen der Zentrumspartei, dem politischen Flügel des deutschen Katholizismus, nahe.

Daneben gab es - auch in Rheine - für alle Wirtschaftszweige die der Sozialdemokratie nahestehenden Freien Gewerkschaften, schließlich anderenorts - in Rheine in der Kaiserzeit jedoch nicht vertreten - die den liberalen Parteien verbundenen Hirsch-Dunckerschen Gewerkverbände.

Die Abgrenzung des christlichen Metallarbeiterverbandes gegenüber den Freien Gewerkschaften ging aus zwei Details hervor: Zunächst einmal stand die Mitgliedschaft ausdrücklich nur "christlichen Metallarbeitern und -arbeiterinnen" offen. Zudem betonte der Verband in seinen Statuten, er strebe seine Ziele "auf christlicher und gesetzlicher Grundlage" an, womit er sich indirekt von den Freien Gewerkschaften distanzierte, die auch nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 noch unter dem Verdacht der "Staatsfeindlichkeit" standen und deshalb bis 1914 einer systematischen polizeilichen Bespitzelung unterworfen waren.

Die Aufgaben der Organisation

Wer der Gewerkschaft beitreten wollte, musste ein "Eintrittsgeld" von 50 (Männer) bzw. 30 Pfennigen (Frauen) zahlen. Die monatlichen Beiträge betrugen für Männer 50 Pfennige, für Frauen und Jugendliche 25 Pfennige. Dafür wollte die Gewerkschaft folgende Gegenleistungen erbringen:

"a. statistische Erhebungen,
b. Vertretung der Arbeiter-Interessen bei den Behörden, Regierungen und Parlamenten,
c. Vorträge und Herausgabe eines Verbandsorganes,
d. Herbeiführung günstiger Arbeits- und Lohnverhältnisse unter möglichster Wahrung eines friedlichen Ausgleichs zwischen Arbeitern und Arbeitgebern,
e. Unterstützung bei Maßregelung, Aussperrung resp. Ausständen, Wander-, Umzugs- und Erwerbslosenunterstützung (Arbeitslosigkeit und Krankheit) und Unterstützung bei Sterbefällen,
f. Rechtsschutz bei Streitigkeiten, die aus dem Arbeitsverhältnis entstehen."

Ein Polizeibericht über eine Versammlung

Anfang des Polizeiberichtes über die Versammlung vom 7. Juli 1906

Hinsichtlich der Aktivitäten der Organisation liegt nur ein einziger Bericht vor, den Polizei-Sergeant Nolte am 7. Juli 1906 über eine Versammlung in der Wirtschaft der Witwe Fuest anfertigte. An der Versammlung, die von 20.55 bis 22.30 Uhr dauerte, nahmen 34 Männer teil. Der aus Münster angereiste Verbandsvertreter Holle referierte "in längerer Rede" über die Notwendigkeit des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses, damit die Arbeiter einen "anständigen Lohn" durchsetzen könnten. Dabei grenzte er sich ausdrücklich von den nach seiner Auffassung überzogenen Forderungen des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden August Bebel ab:"Uns ist aber viel daran gelegen, dass der Arbeitgeber auch verdient und ein festes Fundament unter sich hat, denn er muss mit den Konkurrenten auch konkurrieren."


In der an seinen Vortrag anschließenden Diskussion warnte Holle ausdrücklich vor der Akkordarbeit, "da jeder Arbeiter dann immer mehr leisten will wie er kann, und sich dann ganz abschindet, das sei seiner Gesundheit aber schädlich."

Die weitere Entwicklung in Rheine

Ein quellenmäßiger Beleg für die Gründung einer Ortsgruppe des der SPD nahestehenden Deutschen Metallarbeiterverbandes ist bisher nicht bekannt. Im Jahre 1909 schätzte der Bürgermeister deren Mitgliederzahl auf 21, ein Jahr später auf 31, während der christliche Metallarbeiterverband zwischenzeitlich auf 65 Mitglieder angewachsen war.

Die parteipolitisch begründete Spaltung der Gewerkschaftsbewegung hielt auch in der Zeit der Weimarer Republik an. Im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde im Mai 1933 der Deutsche Metallarbeiterverband aufgelöst und seine Mitglieder der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) einverleibt, im Juni des gleichen Jahres auch der christliche Metallarbeiterverband.

Neue Organisationsformen nach 1945

Nach der Beseitigung der Nazi-Herrschaft im Jahre 1945 organisierte sich die deutsche Gewerkschaftsbewegung auf einer völlig neuen Grundlage: der 1949 gegründete Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) überwand die parteipolitische Zersplitterung der Vergangenheit. Auf dieser Grundlage entstand auch die IG Metall als Nachfolgeorganisation der verschiedenen bisherigen Metallarbeitergewerkschaften.

Auf Grund steigender Mitgliederzahlen wurde im Jahre 1966 eine eigene Verwaltungsstelle der IG Metall in Rheine eingerichtet, deren Organisationsbereich die damaligen Kreise Steinfurt, Grafschaft Bentheim, Lingen und Meppen mit zunächst 1759 Mitgliedern umfasste.

Im Jahre 1998 löste sich die Gewerkschaft Textil und Bekleidung (GTB) aufgrund bundesweit rückläufiger Mitgliederzahlen auf und ging in der IG Metall auf, im Jahre 2000 ebenso die Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK).

Zur Zeit betreut die IG Metall-Verwaltungsstelle Rheine 17000 Mitglieder hinsichtlich ihrer beruflichen Interessen.

Lothar Kurz

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